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14.03.2024 Die EZB ist mit den Gewerbeimmobilien noch lange nicht fertig

Im letzten Jahr wurden die Spezialisten bei der Europäischen Zentralbank langsam nervös. Das Team von rund 20 Bankenaufsehern hatte mehr als ein halbes Dutzend deutsche und österreichische Banken bezüglich eines speziellen Kreditnehmers befragt: dem Signa-Konglomerat des österreichischen Immobilien-Zampanos René Benko. Und was sie gehört hatten, beruhigte sie nicht. Im Gegenteil: Unter ihnen wuchs die Sorge, dass die Banken auf Verlusten sitzen könnten, ohne sich darüber im Klaren zu sein.

Und so gingen die EZB-Experten erneut auf die Banken zu. Sie hinterfragten die Annahmen, die den Bewertungen von Signas Kreditsicherheiten zugrunde lagen. Konnten sie vor dem Hintergrund der rapide steigenden Zinsen noch stimmen? Waren sie unverwundbar von den struktureller Probleme bei Büros und Handel, die anderswo zu Abschreibungen führten? Wie waren der forsche Wachstumskurs und die schwach ausgeprägte Transparenz von Benkos Imperium einzupreisen? Einige Geldhäuser erhöhten grummelnd Risikovorsorgen oder Wertberichtigungen. Wenige Monate später konnten sie sie brauchen, als Signa-Gesellschaften wie Dominosteine fielen und kollektiv eine der größten Immobilienpleiten seit der Großen Finanzkrise hinlegten.

Die Signa-Untersuchung ist nicht vom Himmel gefallen. Sie geht zurück bis ins Jahr 2017, in dem sich das damals noch junge Aufsichtsgremium der EZB erstmals konzentriert dem Thema Gewerbeimmobilien zuwandte. Und die Kampagne ist noch nicht vorbei — ebensowenig wie die Krise in dem volatilsten Sektor der Immobilienbranche. Im Frankfurter Euro Tower werden bereits neue Maßnahmen diskutiert, um sicherzustellen, dass Banken mit hohem Risiko diesem widerstehen können. Es geht um weitere Risikovorsorgen und höhere Sicherheiten.

Die EZB-Beamten sehen sich durch die Entwicklung der letzten Monate bestätigt. Benkos Imperium, das einmal 23 Milliarden Euro wert gewesen sein soll, liegt in Trümmern, die Bewertungen vor allem von Bürogebäuden fallen weiter und Signa ist bei weitem nicht der einzige Bauträger, der Pleite ist. Doch trotz Wertberichtigungen und Risikovorsorgen bei großen Signa-Banken wie der Helaba und der Wiener Raiffeisen Bank International steht der Bankensektor insgesamt auf festen Beinen und kann die Verluste verdauen.

Die Anleger sind weiterhin verunsichert. Anfang des Jahres kam es zu einem großen Einbruch bei der Deutschen Pfandbriefbank, die im großen Stil bei US-Gewerbeimmobilien engagiert ist und deswegen sogar die Dividende aussetzen muss. Sie hat inzwischen aber einige Verluste wieder wettgemacht.

Signa selbst gibt der EZB die Schuld an ihrem Kollaps und behauptet etwa in ihrem Insolvenzantrag, die Untersuchung habe ihre Mittelbeschaffung torpediert. Einige ihrer Banker haben sich ähnlich geäußert. Die EZB hat diese Ansicht zurückgewiesen — ihr früherer Bankenaufsichtschef Andrea Enria nannte sie “bizarr”. Doch einige nationale Aufsichtsbehörden sagen hinter vorgehaltener Hand, dass sie sich ein anderes Vorgehen gewünscht hätten, um den Eindruck zu vermeiden, dass man Signa bewusst
stigmatisiere.

Dieser Bericht basiert auf Gesprächen mit fast einem Dutzend am Aufsichtsprozess beteiligter Offizieller, die darum baten, nicht namentlich genannt zu werden. Signa, die EZB und die genannten Banken lehnten Stellungnahmen ab.

Gewerbeimmobilien sind in den Kreditbüchern der europäischen Banken ein großer Faktor. Laut Daten der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde haben sie 1,2 Billionen Euro an Ausleihungen draußen, die mit Gewerbeimmobilien besichert sind: das entspricht 8,3% ihres gesamten Kreditportfolios.

“Gewerbliche Immobilien sind besonders anfällig” und weisen einen überdurchschnittlich hohen Anteil an notleidenden Krediten auf, sagte Claudia Buch, Enrias Nachfolgerin als Vorsitzende des EZB-Aufsichtsgremiums am Dienstag. “Wir beobachten dies sehr genau und arbeiten auch mit den Banken zusammen, um das Risiko dieser Art von Krediten zu reduzieren.”

Zwar betonen die Aufseher, dass es nicht ihr Job sei, zu bestimmen, welche Firmen Kredite erhalten und welche nicht. Doch sie führen die Untersuchung auch als Beispiel für das aufkeimende Selbstbewusstsein der EZB-Bankenaufsicht im zehnten Jahr ihrer Existenz als oberste Behörde der Eurozone. Sie ermutigt ihre Mitarbeiter, sich aktiv auf die größten Risiken der Banken zu konzentrieren und nicht einfach nur Checklisten abzuhaken.

Doch das entschlossene Vorgehen im Fall Signa war auch intern nicht unumstritten. Einige Aufseher in nationalen Behörden kritisierten den Fokus auf einen einzelnen Namen und hätten es lieber gesehen, der Untersuchung einen breiteren Rahmen zu geben. Damit hätte man die Gefahr einer Stigmatisierung vermieden. Wieder andere fanden, dass der Signa-Einsatz zu viele Mitarbeiter binde.

Doch selbst die Kritiker unter den Aufsehern sehen die Prüfung der Signa-Kreditvergabe als gerechtfertigt an. Sie habe zwar nicht ergeben, dass Banken wegen den Signa-Krediten in Gefahr waren, wohl aber Mängel im Risikomanagement und teilweise unzureichende Vorsorgen aufgezeigt. Und das habe auch über Signa hinaus Wirkung gezeigt, sagen die Aufseher. Der anhaltende Druck in dieser Frage sei auch ein wesentlicher Grund dafür, dass die Banken nun gut gerüstet sind, um die Turbulenzen zu überstehen.

Einige der Beamten verweisen auf ein Treffen des Aufsichtsgremiums Ende 2017, bei dem festgestellt wurde, dass Gewerbeimmobilien ein zentrales Risiko darstellen, auf das man sich konzentrieren sollte. Die Zinssätze waren noch niedrig und Gewerbeimmobilien boomten. Doch Enrias Vorgängerin Daniele Nouy und ihre Kollegen waren sich einig, dass dieser Zustand irgendwann zuende gehen würde und dass man schon anfangen müsste, sich darauf vorzubereiten.

Teilnehmer an der Sitzung und an den Diskussionen im Vorfeld erinnern sich an die Bewertung, dass die Immobilienfirmen Kredite in einer Höhe aufnahmen, die schwer zu bedienen sein würden, vor allem wenn die Zinsen irgendwann wieder steigen würden. Erschwerend kam der Eindruck hinzu, dass die Banken so verzweifelt auf der Suche nach Zinserträgen waren, dass sie sich der Risiken nicht mehr ausreichend bewusst waren. Auch die Erinnerungen an die Finanzkrise 2008 und die Rolle, die Immobilien hier spielten, waren noch frisch.

Die Französin Nouy, die die Bankenaufsicht der EZB seit 2014 aufgebaut hatte, brachte daraufhin eine der intensivsten und folgenreichsten Untersuchungen der Behörde auf den Weg.


(Von Nicholas Comfort, Bloomberg)
























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